Faszinierende Muttermilch – dynamisch und komplex
Übersicht
- Muttermilch ist einzigartig. Sie ist Vorbild, kann aber nie in allen Aspekten nachgeahmt und erreicht werden.
- Stillen ist die beste Ernährung und gleichzeitig effektive Gesundheitsvorsorge. Deshalb hat die Förderung von Stillen höchste Priorität.
- Die Zusammensetzung von Muttermilch ist dynamisch. Insbesondere der Proteingehalt passt sich an den im Laufe des ersten Lebensjahres abnehmenden Bedarf für das Wachstum an.
- Gesunde Ernährung und Lebensweise sowie Normalgewicht der Mutter sind wichtige Aspekte, damit das Stillen all seine positiven Wirkungen entfalten kann.
Muttermilch gilt unbestritten als die beste Ernährung für das Neugeborene und den jungen Säugling. Sie ist reich an wertvollen Nährstoffen und bietet diese in der passenden Menge und Zusammensetzung. Neben Protein, Fett und Kohlehydraten bietet sie eine Fülle weiterer Wirkstoffe, die erst allmählich entschlüsselt werden.
Muttermilch ist eine komplexe flüssige Nahrung, die aus tausenden verschiedenen Molekülen besteht, deren Funktionen und Auswirkungen auf den kindlichen Organismus noch nicht vollständig erforscht sind. So enthält sie unter anderem mehr als 200 bakterielle Phylotypen (Organismen mit unterschiedlicher DNA-Sequenz), lebende Immunzellen und mütterliche Stammzellen. Die meisten Komponenten haben wahrscheinlich eine eigene funktionelle Aufgabe oder wirken mit anderen zusammen. Das macht es fast unmöglich, die gesundheitsfördernden Aufgaben jedes einzelnen Bausteins zu identifizieren. Diese Komplexität macht es aber auch unmöglich, diesen besonderen Zaubertrank in näherer Zukunft in allen Facetten nachzubauen.
Seit langem weiß man, dass die Muttermilch in den ersten Tagen, das sogenannte Kolostrum, besonders gehaltvoll ist, entsprechend dem hohen Bedarf des Neugeborenen an Nährstoffen. Dann ändert sich die Zusammensetzung:
- Kolostrum (bis ~Tag 5 nach der Geburt): kleine Menge, aber wertvoll: hoher Proteingehalt, reich an Immunfaktoren (z.B. IgA), relativ hoher Natrium- und niedriger Fett- und Laktosegehalt.
- Übergangsmilch (2. Woche nach der Geburt): Zunehmende Menge, abnehmender Protein- und zunehmender Fettgehalt
- Reife Muttermilch (~ab 3. Woche nach der Geburt): 500–900 ml/Tag. Doch auch reife Muttermilch verändert sich laufend.
Der Muttermilchgehalt variiert aber auch über den Tag und sogar während des Stillens. Der Säugling erhält ein Drei-Gänge-Menü mit „Vorspeise“ gegen den Durst (Vormilch: ↑ Wasser, ↓ Fett), nahrhaftem „Hauptgericht“ (zunehmender Fettgehalt im Laufe der Stillmahlzeit) und sehr sättigender „Nachspeise“ (fettreiche Nachmilch)
Die gesundheitlichen Vorzüge der Muttermilch sind tatsächlich vielfältig. Das verringerte Risiko einer infektiösen Diarrhoe und einer akuten Otitis media ist dabei am besten dokumentiert. Es wird heute aber zusätzlich davon ausgegangen, dass Stillen mit verringertem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, Übergewicht, Adipositas und Typ 2 Diabetes im späteren Leben einher geht. Ebenso werden positive Auswirkungen auf das kindliche Immunsystem und die kognitive Entwicklung diskutiert.
Supplementierung von Muttermilch – Was gibt es Neues?
Assoz. Prof. PD. Dr. Nadja Haiden MSc., Medizinische Universität Wien
Humane Milch-Oligosaccharide (HMO)
Unter den vielen Komponenten mit einer schützenden Wirkung spielen die Humanen Milch-Oligosaccharide (HMOs) eine entscheidende Rolle. HMOs kommen ausschließlich in Muttermilch vor. Nach dem Milchzucker Laktose und den Milchfetten stellen die Milch-Oligosaccharide die drittgrößte Komponentengruppe in der Muttermilch dar (Abb. 2). HMOs treten in einer großen strukturellen Vielfalt und unterschiedlichen Mengen auf. Die individuelle Zusammensetzung ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Die mengenmäßig größte Verbindung ist dabei 2’-Fucosyllactose (2’FL), die in den meisten Fällen fast ein Drittel der Gesamt-HMOs ausmacht. (Abb. 3) 2’FL wirkt sich besonders positiv auf das Mikrobiom gestillter Kinder aus. Seit mehr als hundert Jahren sind Wissenschaftler und Kinderärzte von diesen wichtigen Bestandteilen der Muttermilch fasziniert, sowohl von ihrer Unterschiedlichkeit als auch von ihrem Nutzen für den kindlichen Organismus. Seit kurzem erlauben die technologischen Fortschritte in der Herstellung einzelner HMOs, diese auch in klinischen Placebokontrollierten und randomisierten Untersuchungen zu studieren.
Interview mit Prof. Michael Abou-Dakn
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